Archiv für August, 1943

Wurstige Beziehungen

Dienstag, 31. August 1943

Am Morgen des nächsten Tages, 31.8., wollte unser Spieß Stellungswechsel machen, weil die Front im Laufe der Nacht auf den Panzergraben zurückgenommen werden sollte.  Dort sollte die neue [Hauptkampflinie] HKL entstehen. Nachts brannte Jelnja lichterloh und wir dachten immer nur: hoffentlich haun wir bald ab. Vielleicht ist der Iwan schneller hier, als wir denken. Und das scharfe Knallen von Panzerabschüssen kam auch recht nahe.

Gottseidank ging es beim ersten Morgenrot auf und davon. Unser Spieß als Protzenführer führte uns zurück bis Baltutiwo und dort rechts ab, wieder in einen Wald. Beim einem kurzen Halt unterwegs traf unser lieber Tünn einen Freund, der Fourier bei einer anderen Batterie war. Dieser überreichte Tünn schnell ein paar große Würste, die in unserer Bedienung mit großer Freude aufgenommen wurden.

Als warme Verpflegung bekamen wir von unserer Küche zweimal hintereinander riesige Schläge Salzkartoffeln und Goulasch. Es war das Essen, welches nach vorn gebracht werden sollte. Es bestand keine Möglichkeit, dieses Vorhaben auszuführen. Es stieg nun langsam die Frage in uns auf, was nun eigentlich mit unserer Gefechtsbatterie geschehen ist.

Es kam die Nachricht, daß unsere Batterie eingeschlossen ist. Da konnten wir also nicht hoffen, irgendjemanden einmal wieder zu sehen. Unsere 1. Batterie befand sich in Sicherheit, obwohl sie auch mit nach vorn sollte. Aber so war eben unser Alter, überall etwas schmußen, überall der Erste sein, (wir waren ja am 29. ½ Tag früher da, als die anderen Batterien, und so sind unsere direkt in den Rummel hineingefahren, während die anderen (glei) schweren Batterien wieder umgekehrt waren.

Wiedervereinigung

Montag, 30. August 1943

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, stand unser lieber Uffz. Beckurtz vor unserem Zelt. Bodenschatz wäre ihm vor Freude darüber bald um den Hals gefallen. Wußte er doch nun, wo sich unser Spieß mit den Troßfahrzeugen befand. Peter Beckurtz berichtete, daß sie bis zum Abend des gestrigen Tages in Iwanowo lagen und dann Stellungswechsel gemacht hatten. Wenige 100 m von unserem Zeltplatz entfernt hatten sie die Nacht verbracht, ohne zu wissen, daß wir ganz in ihrer Nähe sind.

Ich war nicht erbaut darüber, daß wir wieder zum Troß kamen. Wer weiß, wohin wir da mit fahren mußten. Ich wäre lieber noch einen Tag mit der B I alleine durchs Land kreuz und quer gefahren. Na, wir fuhren hin zum Troß und meldeten uns beim Hauptwachmeister. Er und das kleine Häuflein Menschen waren sicherlich erfreut darüber, daß die schon verloren geglaubte B I-Bedienung sich wieder eingefunden hatte.

An diesem Vormittage bezogen wir noch eine Protzenstellung in einem kleinen Wäldchen. Unsere Fahrzeuge wurden getarnt und wir machten es uns gemütlich in dem warmen Sonnenschein. Da nun unsere Küche wieder bei uns war, mußten wir auch mit Kartoffelschälen für 2 Battrien. Das Essen sollte nach vorn geschafft werden.

Allerdings wurden wir in unserer Ruhe viele Male durch feindliche Schlachtflieger gestört, die über uns hinweg brummten und weiter hinten eine Ortschaft angriffen, wo eine wichtige Brücke war. Auch russische Jäger tummelten sich über uns. Wir schossen einige Male mit dem Karabiner in die Luft. Weil aber der Lauf immer wieder gereinigt werden mußte und unser Spieß „die blödsinnige und nutzlose Knallerei“ verbot, stellten wir das Schießen ein. Gegen Abend fuhr SS in diesem Raume auf. Sie sollten die Lage wahrscheinlich wieder stabilisieren. Auch in unserer Nähe gingen Pakgeschütze von ihnen in Stellung. Wir sind da mal hingegangen und haben uns die Kanonen angesehen.

Zu erwähnen wäre noch, daß im Laufe dieses Tages auch die deutsche Luftwaffe mehrmals mit starken Kräften erschien. Mehrere [Heinkel] He 111 Verbände mit 60 Maschinen flogen in das Kampfgebiet und belegten die feindlichen Stellungen mit Bomben. Auch eine[n] Flugzeugtyp lernte ich kennen, den ich noch nicht gesehen hatte. Es waren die Schlachtflieger [Henschel] Hs 129. Infolge ihrer Unkenntnis hielten wir sie erst für feindliche Maschinen. Wir konnten gut sehen, wie diese Schlachtflieger in geringer Höhe über die feindlichen Linien flogen, ununterbrochen hin und her. Dabei spukten ihre Bordkanonen ganz mächtig. Ich gewann den Eindruck, als ob unsere Hs 129 gefährlicher für die Russen sind, weil sie ja eine zeitlang über den feindlichen Linien kreuzten. Im Gegensatz zu den [Iljuschin] IL 2, die angeflogen kommen, ihre Bomben schmeißen und wieder machen daß sie verschwinden.

Zurück zur Einheit

Sonntag, 29. August 1943

An einer Staatsdomäne hielten wir wieder an, um uns etwas Orientierung zu verschaffen. Wir waren abgestiegen und amüsierten uns gegenseitig über unser Aussehen. Die Röcke und Hosen waren Millimeterdick mit Staub bedeckt. Aus dem schwarzgrauen Gesicht leuchteten die Zähne und das Weiße in den Augen. Und der Schweiß hinterließ lange Bahnen abfließender Schweißtropfen auf den Backen.

Da plötzlich kam ein einzelner PKw., und wer saß drin? Unser Kommandeur, Major Wendt. Wir staunten alle zusammen, hier ihn vorzufinden. Es herrschte doch die Annahme, daß er mit vorn wäre, bei seinen Gefechtsbatterien. Als ihn Bodenscha[tz] nach dem Orte unserer Protze gefragt hatte und Wendt wieder abgefahren war, diskutierten wir über ihn. Später stellte es sich dann heraus, daß er der Lage nicht gewachsen war, die Nerven verloren hatte und sich mit seinem Fahrer aus dem Staube gemacht hatte.

Wir fuhren anschließend auf der Straße Jelnja-Potschinok und suchten den Ort unserer Protze, Iwanowo. Ich wußte, daß dieser Ort ziemlich nahe bei Jelnja lag, sagte aber nichts, weil wir doch dann sofort dorthin und damit wieder ziemlich nahe an die Front kamen. In der Annahme, daß dieses Nest weiter hinten läge, fuhren wir auf dieser Straße zurück. Da erlebten wir auch den ersten Tieffliegerangriff in diesem Gebiete. Diese Flieger hatten aber andere Ziele und wendeten wieder, bevor sie herankamen. Nun, als wir ein Stück zurückgefahren waren und Iwanowo immer noch nicht kam, kam unser Meßtruppführer Bodenschatz zu der Überzeugung, daß wir hätten nach der entgegengesetzten Richtung fahren sollen. Also kehrten wir um und fuhren wieder nach vorn. Eine ganze Weile sind wir gefahren. Immer näher hörten wir den Lärm der zurückgehenden Front. Aber Iwanowo kam nicht. Weiter nach vorn zu fahren wollten wir nicht, da wir nicht wüßten, wie die Lage war. Auch glaubten wir nicht, daß unsere Protzenstellung so dicht hinter den Linien liegt. Da der Tag langsam zur Neige ging, entschlossen wir uns wieder zurückzufahren und in einem Dorfe zu nächtigen.

Auf dieser Fahrt stießen wir auf Protzenfahrzeuge und den Funkwagen unserer 5. Batterie. Bodenschatz nahm hier die Gelegenheit wahr, um durch Funk bei unserer Funkstelle ihren Standort zu erfragen. Nach einigen Minuten kam die Antwort, sie lautete prompt: Iwanowo. Das haben wir schon gewußt. Aber wo das Dorf lag, war uns jetzt auch noch ein Geheimnis. Also fuhren wir weiter, einen Übernachtungsplatz zu suchen. In der Reihe der entgegenkommenden Autos tauchte plötzlich unser Tankwagen, mit dem Tankanhänger für Trinkwasser, auf. Der suchte auch unseren Troß. Wir klärten ihn auf und er schloß sich uns an und wir wollten unsere Leute gemeinsam suchen.

Auf einmal kam in die vor uns fahrenden Fahrzeuge plötzlich Aufregung und Verwirrung. Die Fahrzeuge stopten plötzlich und die Insassen sprangen heraus und rannten wahllos in das Gelände. Wir hielten auch, sahen nach dem Grunde dieses Verhaltens und bemerkten in der Luft zwei Verbände [Petljakow] PE2, die schräg auf uns zukamen. Nun aber runter gesprungen und Deckung gesucht. Zufällig waren gerade neben uns Russenweiber dabei, einen Schützengraben auszuheben. In diesen Graben verschwanden wir und warteten nun ab, ob die Straße mit ihrem regem Verkehr das Ziel dieses Angriffs wurde. Aber der erste Verband drehte nach links ab und auch die Maschinen lagen darauf im Sonnenlichte blinkend in der Kurve. Etliche Minuten später zeigten uns in einigen km Entfernung hochgehende Rauchfontänen und kurz darauf folgender Donner das Gebiet an, wo die beiden Verbände ihre Bomben ausgelöst hatten.

Frohen Mutes stiegen wir wieder auf und fuhren weiter, dabei auf jedes Einheitsschild achtend, ob nicht das von unserer Batterie dabei war. Im nächsten Dorfe war bald ein geeigneter Rasenplatz gefunden. Bauten uns unser Zelt auf und legten uns hin, um uns von diesem erlebnisreichen, aber auch aufregenden Tag, dem 29. August, auszuruhen. Davor hatte ich noch das Schild mit dem gelben Wolfskopf, das Zeichen unserer Batterie, an einem Pfahl an der Straße befestigt.

Rücksichtslose Flucht

Sonntag, 29. August 1943

Jeder suchte so schnell wie möglich fort zu komme[n]. Wir 14 Mann saßen im guten Anzug auf unseren Wagen und sahen uns das Treiben an. Wir vertrauten auf die Routine und Gerissenheit unseres Fahrers, den Obgefr. Schmitz. Plötzlich schlugen dicht neben unserem Wagen zwei Geschoße ein. Es schien uns ein russischer Panzer entdeckt zu haben und beschoß uns nun. Da trat aber Schmitz auf die Tube und entzog uns der Sicht indem er einen Hügel dazwischen legte.

Mitten in dieser wilden Flucht wieß ein kleiner Leutnant seine 10 Infanteristen an, einen Graben auszuheben. Willig und gleichgültig fingen sie an zu graben. Wollte denn dieser Leutnant mit seinen 10 Mann den kommenden Russen Einhalt gebieten?

Langsam waren wir nun auch an Jelnja herangekommen. Hier strömte nun alles zusammen, was zurückflutete. Jeder suchte mit seinem Fahrzeug über die Brücke zu kommen, die über die Bahn ging. Natürlich hatte auch unserer Fahrer Schmitz das Bestreben, darüber hinweg zu kommen. Er war jedenfalls sehr auf Draht.

Endlich schien auch eine deutsche Truppe ernstlich Widerstand leisten zu wollen. Es war [die] Waffen-SS. Diese Kerle sprangen gleich ohne Rock und Stahlhelm in ihre Sturmgeschütze und fuhren los.

Inzwischen war es an der bezeichneten Brücke katastrophal geworden. Als nun noch links und rechts der Brücke auf 2 Erhebungen Einschläge hochgingen und die Leute der dort aufgebauten 2 cm Flak den Hang herunterkollerten, da war es vollständig aus. Es wurde gerammelt, geschoben usw. Von unserem hohen Fahrzeug aus ließ sich das ganz gut ansehen, das wogende und quirlende Fahrzeuggewimmel rundherum. Aber wir kamen über die Brücke, nichtsachtend ob wir dabei ein kleineres Fahrzeug in den Graben drückten.

Kurz hinter der Brücke kam noch ein wunder Punkt als ebenfalls flüchtende 8,8 Flak mitten auf der Straße zum Panzerbeschuß in Stellung ging. Dadurch war die Straße vollends verstopft. Aber auch hier stand uns der Glücksengel zur Seite. Etwas seitwärts war nur ein etwas größerer Zwischenraum zwischen den Fahrzeugen und schon kurvte Schmitz uns da hinein. Rücksicht durfte man keine nehmen, sonst wäre man für ewig sitzen geblieben. Ebenso war es fast hoffnungslos, wenn ein Fahrzeug in diesem Gewühle einen Defekt bekommt. Dann konnte man diese Karre gleich vom nächsten Fahrzeug in den Graben schieben lassen.

Hinter uns, an der Brücke krachte es mehrere Male bedenklich. Pechschwarze Qualmwolken und Trümmer flogen durch die Luft. Doch was jetzt dort vorging kümmerte uns nicht mehr. Nun wurde die Straße etwas freier und mit erhöhter Geschwindigkeit ging es durch Jelnja hindurch. Hier rannten dieselben Schwestern, die uns noch 2 Stunden früher fröhlich zugewinkt hatten, in ihrer Schwesterntracht kopflos hin und her und suchten auf den vorbeirauschenden Fahrzeugen mit fort zu kommen. So schnell hatte der Russe sich Jelnja genähert, daß nicht einmal diese Mädchen rechtzeitig abtransportiert wurden. Unser kluger Schmitz fuhr uns nun eiligst durch die Stadt hindurch und gleich auf der nordwestlichen Seite wieder hinaus. Erst als die Stadt weit im Rücken lag, ließ Bodenschatz halten.

Während wir abstiegen und uns ein paar Rüben aus einem verlassenen Garten holten, standen die beiden Unteroffiziere zusammen und berieten, was sie jetzt machen sollten. Bodenschatz hatte eine große Verantwortung auf sich genommen. Unter Umständen konnte ja unser schneller „Rückzug“ als Fahnenflucht ausgelegt werden. Und er, Bodenschatz, hatte ja den Befehl dazu erteilt. Natürlich hatte er jetzt die Absicht, so schnell wie möglich zu unserer Protze zu kommen. Nach kurzer Rast fuhren wir in westlicher Richtung weiter. Immer auf staubigen Feldwegen. Jetzt waren wir so das einzige Fahrzeug auf diesen Wegen geworden. Hinter uns schlugen grelle Stichflammen aus Jelnja in den klaren Mittagshimmel, große Rauchpilze zeigten an, wo Brennstofflager in die Luft gejagt wurden.

Ungeordneter Rückzug

Sonntag, 29. August 1943

Wie es nun kam, daß unser B I-Wagen noch alleine dastand, weiß ich nicht mehr. Es kann sein, daß wir den Anschluß verpaßt hatten oder daß wir stehen bleiben und warten sollten, bis die Geschütze zurückkommen. Wir legten uns ins Gras und warteten. Da kam eine Flak-Batterie von uns zurück. Später erst haben wir es erfahren, daß das die Batterie gewesen ist, die wir ablösen sollten. Aber weil die Lage zu brenzlig wurde, hat diese Batterie ihre Stellung vorzeitig verlassen. Mit den Fahrzeugen dieser Batterie kam auch der PKW mit unserem Kommandeur angefahren. Uffz. Bodenschatz erkundigte sich bei ihm und der Kdr. sagte, er könne uns hier nicht mehr gebrauchen, wir sollten umkehren. Diese Antwort löste uns einen schweren Stein vom Herzen. Jetzt wurden alle wieder lustiger und redseliger. Es war direkt neues Leben in unsere Bedienung gekommen.

Schnell wurde der Wagen gewendet und dann konnte er uns nicht schnell genug fahren. Nach kurzer Fahrt wurden wir wieder von unserem Kommandeur angehalten. Wir sollten stehenbleiben. Die Batterien würden hier zum Luftbeschuß in Stellung gehen. Unsere Geschütze sollten bald ebenfalls zurückkommen. Da saßen wir nun und wieder war die Ruhe in uns eingekehrt. Plötzlich geschah das, mit dem wohl keiner gerechnet hatte: Erst kamen einzelne Fahrzeuge an uns vorbeigebraust, dann entstand eine unendliche Kette daraus. Über die Felder und Wiesen hinweg fuhren sie, weil die Wege sich langsam verstopften. Wir guckten uns um, alles raste und rannte zurück. Weil auch Bodenschatz und Schweig ratlos dastanden, gab Bodenschatz den Befehl zur Weiterfahrt. Nun ging es mit dem gleichen Tempo zurück.

Die Wegeverhältnisse kannten wir nicht, deshalb wollten wir den Weg zurück fahren, den wir her gekommen sind. Ein junger Leutnant von der Infanterie war es, der uns sagte, daß dieser Weg schon vom Russen überschritten wäre. Durch diesen klugen Menschen wurden wir sozusagen davor bewahrt, direkt in die Russen hineinzufahren. Nun wurde eben ein anderer Weg gefahren. Um uns wurde es immer toller. Fahrzeuge fuhren wild darauf los, nur zurück. Kräder kannten keine Hindernisse und zwängten sich überall hindurch. Herrenlose Pferde trabten durch die Gegend. Soldaten kamen angerannt. Ein Reiter galoppierte mitten durch die Felder. In Hemdsärmeln saß er, vielmehr hing er, hoch zu Roß. Jetzt war es uns klar. Das war eine Flucht. Das war direkte Panik. Je weiter wir zurückkamen, desto toller wurde es. In den Protzenstellungen wurde schnell das Gerät und Gerümpel auf die Wagen geschmissen und fort ging es. Dazu knallte es einige Male. Das machte alles nur verrückter.

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